Donnerstag, 4. September 2008

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1. Vorwort

Krankenhauspatienten bedürfen in bestimmten Situationen der künstlichen Nährstoffzufuhr. Diese erfolgt zumeist in Form der Einleitung von Nährlösungen über einen in die Speiseröhre eingelegten Zuleitungsschlauch.

Ist die direkte Nährstoffzufuhr in den Magen-Darm-Trakt nicht möglich, erfolgt die künstliche Patientenernährung über Nährstoffeinleitungen direkt in das Gewebe (Depotspritzen) oder in den Blutkreislauf (intravenöse Infusionen). Man spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten „parenteralen Ernährung“.

Eine Medikamentengruppe die in der „parenteralen“, also der nicht über den Magen-Darm-Trakt zugeführten Ernährung zur Anwendung kommt, sind die sogenannten Lipidemulsionen (auch: Fettlösungen, ölhaltige Infusionslösungen, Öl-Emulsionen zur intravenösen Infusion genannt). Dabei handelt es sich um flüssige Infusionsmittel mit einem Anteil von 10 bis 30 % Soyaöl, Olivenöl oder Hochseefischöl, denen verschiedene Emulgatoren und Wasser für Injektionszwecke beigemischt werden.

Unter Krankenhausärzten wird heutzutage die weitverbreitete Auffassung vertreten, dass eine direkt Injektion dieser Substanzen in das menschliche Blut zum sofortigen Eintritt einer Blutembolie führt, das heißt für den Patienten tödliche Konsequenzen hätte. Dies begründet sich in der prinzipiellen Unverträglichkeit von menschlichem Blut, das zu großem Teil aus Wasser besteht, und Ölen, die sich nur unter Beifügung von Emulgatoren mit Wasser mischen. Emulgatoren, also Oberflächenspannung verringernde Mittel, hätten wegen ebendieses Effektes allerdings selbst eine Blutkörper schädigende Wirkung und würden zu Gerinnungsstörungen führen (Hämolyse).

Im Widerspruch zu dieser Auffassung steht nun die Existenz von insgesamt 17 im Jahre 2005 in Deutschland als Medikament zugelassenen ölhaltigen Infusionslösungen sowie deren von Herstellerseite vorgeschriebene Verabreichungsform als intravenöse Infusionen.

Kritiker der Existenz der Öl-Emulsionen werden zumeist darauf verwiesen, dass:

  • die Verabreichung der Öl-Emulsionen durch langsames Eintropfen von 1-2 Gramm Fett pro kg Körpergewicht pro Tag in die Vene eine ausreichend hohe Verdünnung der Nährlösung durch den Blutstrom sicherstellt, so dass bei Berücksichtigung der Dosierungsanleitungen keine unmittelbaren gesundheitsschädlichen Wirkungen für Patienten eintreten würden.

Demgegenüber stehen allerdings Berichte über gelegentliche Nichtbeachtung dieser Anwendungsvorgaben in Krankenhäusern, in der Literatur erwähnte und beschriebene Todesfälle nach Lipdinfusionen in den 50er und 60er Jahren sowie die ungelöste Frage, was mit den vom menschlichen Blut nicht abbaubaren, zugeführten Ölanteilen im Blutgefäß- und Organsystem passiert.

Hierzu wird insbesondere in Veröffentlichungen aus den 50er und 60er Jahren darauf verwiesen, dass eine Akkumulation der nichtabbaubaren Ölanteile bei intravenöser Gabe in den Kapillarenden der Lunge stattfinden müsste, was zu Änderungen der Kapillarpermeabilität und Funktionsstörungen des Membrantransportes beziehungsweise des Sauerstoffaustausches führen könnte, im schlimmsten Falle zu einer Lungenembolie. Gleiches gelte auch für andere Organe, wie beispielsweise Gehirn, Leber und Niere.

Organembolien, die nach langsamer Substanzansammlung erst längere Zeit nach Infusionsbeginn auftreten könnten, werden so möglicherweise nicht direkt mit der Öl-Emulsions-Verabreichung in Kausalzusammenhang gebracht. Eine durch diese Sekundärwirkung der Öl-Emulsionen hervorgerufene mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes bereits geschwächter Patienten wäre bei der Verwendung anderer Nährsubstanzen möglicherweise vermeidbar.

Zur Untersuchung des Ausmaßes möglicher missbräuchlicher Anwendungen der Öl-Emulsionen wurde daher zwischen Februar 2005 und Juni 2006 die im vorliegenden Jahresbericht dokumentierte CID-Studie zur Risikoanalyse und Plausibilitätskontrolle durchgeführt.


Weilmünster, im Mai 2006.



2. Literaturstudie:

Wissenschaftlicher Erkenntniszuwachs am Beispiel der Versuche zur Wirkung von Ölemulsionen zur intravenösen Infusion zum Zwecke der künstlichen Nährstoffzufuhr bei Krankenhauspatienten und deren ethische Aspekte.


2.1. Historischer Hintergrund

In der sogenannten „Experimentellen Medizin“ sind Versuche zur Wirkung von Öl-Emulsionen bei Menschen seit nunmehr 77 Jahren bekannt. Erste, von WABEL (1998) zitierte Experimente beschrieb demnach der Japaner NOMURA im Jahre 1929 in seiner Veröffentlichung „Experimentelle Studien über intravenöse Fettinfusionen unter besonderer Berücksichtigung parenteraler Ernährung (J.Exp.Med. (1929) 13, 51-64)“. Das damals verwendete Produkt YANOL musste nach Berichten über schwerwiegende Nebenwirkungen allerdings wieder vom Markt genommen werden.

Der Frankfurter Mediziner JORDAN schreibt in seiner 1964 erstellten Dissertation unter Kapitel II. Historisches zur Öl-Emulsions-Forschungsgeschichte dazu:

... Die Idee der Fettzufuhr ist nicht neu. Schon 1920 unternahmen die Japaner YAMAKAWA, NOMURA, SATO und BABA ( BABA, T. (1931): Über den Abbau direkt infundierten Fetts im Tierkörper. J.Exp.Med., 17, 154. 1931 ) Versuche, die als richtungsweisend gelten dürfen. Sie waren in der Lage, einigen hundert Patienten eine selbst hergestellte Fettemulsion, genannt „YANOL“, zu verabfolgen. Jedoch mussten sie die Versuche abbrechen, da sie eine zu große Partikelgröße des Fettes verwendeten und infolgedessen zahlreiche Nebenwirkungen auftraten. 1935 folgten Versuche von HOLT ( HOLT, L.E. (1935): The intravenous administration of fat. J.Pediat. 6, 151, 1935 ) und Mitarbeitern, die darauf abzielten, unterernährte Kinder mittels parenteralen Fetten zu ernähren. Während der beiden letzten Jahrzehnte wurde das Problem der parenteralen Fettzufuhr in den USA in großem Maßstab in Angriff genommen. Hier sind zu nennen STARR, MENG, JOHNSON und SCHAFIROFF. 1952 unternahm KAUSTE in Finnland Versuche an Kindern mit Pflanzenölemulsionen. Seit 1955 haben in Stockholm WRETLIND, SCHUBERT und EDGREN an diesem Problem gearbeitet. In Deutschland sind vor allem die Arbeiten von DOHRMANN und SCHÖN zu erwähnen. ...“

Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht sind Nebenwirkungen nach direkter Infusion von ölhaltigen Substanzen in das menschliche Blut nichts Überraschendes. Bereits im Vorwort zu diesem Bericht wurde auf das prinzipielle Trennungsverhalten von Öl und Wasser als physikalischem Prinzip hingewiesen. Über die Nahrung vom menschlichen Körper aufgenommenen Öle und Fette (Lipide) werden zwar nach enzymatischer Aufspaltung im Darm, molekularstruktureller Umwandlung und Membrantransport durch die Darmwand im Blut aufgenommen, transportiert und an den „Endlagerstätten“ (Fettspeichergewebe) wieder abgegeben, doch sind diese biochemisch umgewandelten Fettpartikel mikroskopisch klein und nicht in Form von „Fett-Tropfen“ im Transportmedium Blut sichtbar. Fett wird also während der Verdauungsprozesse im Darm aufgespalten und kommt nur in chemisch umgewandelter, molekularer Form im Blut vor. Dies beschreibt SCHULTIS (1965) folgendermaßen:

... Aus den Untersuchungen von RODBELL et. al. (20,21) geht hervor, dass die im Darm hydrolysierten Triglyceride in den Mucosazellen wieder verestert und an Proteine gebunden werden, so dass sie als Lipoproteide in der Lymphe und via ductus thoracicus in das venöse Blut gelangen (4). Es muß festgestellt werden, dass die physiologische Transportform für Triglyceride Lipoproteid-Chylomikronen sind. Noch so fein suspendierte Fettpartikelchen entsprechen diesen nicht. Sie stellen Fremdkörper dar, da es fraglich ist, ob geeignete Serumproteine zur Bildung von Lipoproteiden auch bei maximal langer Infusionszeit für das Fett in ausreichender Menge verfügbar sind.“

Man muß also davon ausgehen, dass die ersten Experimente mit intravenösen Ölinfusionen beim Menschen entweder

1.

aus wissenschaftlicher Unkenntnis über die direkte Wirkung der Infusionmittel im Blut und in der Absicht der Überwindung einer Notsituation durchgeführt wurden, oder aber dass

2.

parallel und in Übereinstimmung mit der Zielsetzung anderer Forschungsarbeiten dieser historischen Epoche nicht das menschliche Wohl bzw. die Genesung des behandelten Patienten im Vordergrund standen sondern dass die Erforschung und Entwicklung sogenannter medizinischer, biologischer oder chemischer Waffen oder Kampfstoffe Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeiten war.

Für beide Thesen lassen sich nachvollziehbare Argumente ins Feld führen. Die ausgehenden 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren geprägt von Wirtschaftskrisen, Massenarbeitslosigkeit, Rüstungs- und Kriegsvorbereitungen, Hungersnöten nicht nur in dem später „Entwicklungsländer“ genannten Teil der Welt. In einer solchen Situation ist es durchaus möglich, dass die oben genannten Experimente in der Absicht durchgeführt wurden, künstliche Substanzen zu entwickeln, mit denen Menschen bei Nahrungsmittelknappheit am Leben gehalten werden können.

Doch leider weisen zahlreiche parallele Veröffentlichungen in den Schriften zur Experimentellen Medizin aus dem Jahre 1929 darauf hin, dass eine große Zahl der Wissenschaftlerkollegen des Autors T. NOMURA an der Entwicklung von Techniken arbeitete, bei denen die tödliche Wirkung von Chemikalien, Krankheitserregern aber auch physikalischen Prinzipien auch auf den Menschen untersucht wurden.

So arbeiteten im Jahre 1929 beispielsweise Alwin M. PAPPENHEIMER, Leslie C. DUNN und S.M. SEIDLIN an Studien zur Übertragbarkeit der Vogel-Lähmung Neurolymphomatose, W.A. SAWYER, W.D.M. LLOYD und S.F. KITCHEN experimentierten an Aufbewahrungstechniken für das Gelbfiebervirus, Louis GROSS, Leo LOEWE und Benjamin ELIASOPH versuchten, rheumatisches Fieber künstlich in Tieren hervorzurufen.

Die Anwendung von Chemikalien zur Tötung von Menschen erlangte dann traurige Publizität durch die Ereignisse insbesondere in Deutschland zwischen 1935 und 1945, wo zunächst im Rahmen des sogenannten T4 1-Programmes im Geheimen die Tötung von 200.000 bis 400.000 „kranken“ Menschen geplant wurde, die tatsächlich dann teilweise auch zwischen 1940 und 1941 zuerst in sechs2 speziell dafür eingerichteten Gasmordanlagen mittels des Gases Kohlenmonoxid und anschließend zwischen 1941 und 1945 dann durch gezielten Medikamenteneinsatz ermordet wurden. Die dazu verwendeten Substanzen und Methoden reichten von der Injektion von Lösungsmitteln wie Benzol bis zu eigens für Tötungszwecke entwickelten Medikamenten (wie zum Beispiel LUMINAL und TRIONAL), die zumeist überdosiert wurden (SANDNER 1997).

Auch die Nachkriegszeit war nicht frei von der wissenschaftlichen Beschäftigung mit medizinisch-biologisch-chemischen Tötungsmethoden, die zumeist mit der Begründung durchgeführt wurden, man müsse denselben Erkenntnisstand haben wie potentielle Gegner. Da solche Forschungen zumeist der Geheimhaltung unterlagen, sind der Öffentlichkeit nur wenige Beispiele wie etwa die Entwicklung von Milzbranderregern als biologischer Waffe und die Erforschung ethnospezifischer Krankheitsabwehrmechanismen als Grundlage für den gezielten Einsatz von Biokampfstoffen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen bekannt geworden.

Einen originellen Ansatz zur wissenschaftlichen Untersuchung der Wirkung niedrigen atmosphärischen Druckes auf Menschen findet man sogar noch im Jahre 1964 im Beitrag des Engländers L.G.C.E. PUGH, der feststellte, dass Testpersonen auf Flughöhen von 23.000 Fuß nach 15 Minuten bewusstlos wurden während sie auf Flughöhen von 27.400 Fuß nur 3 Minuten benötigten um das Bewußtsein zu verlieren, wobei er bestätigte dass ab 25.000 Fuß Flughöhe zahlreiche „Fatalitäten“ vorgekommen wären und die „Überlebenden“ bleibende Hirnschäden davongetragen hätten. Dies zu einem Zeitpunkt, als medizinethische Diskussionen solcherlei Versuche eigentlich schon als unvorstellbar erscheinen lassen mussten. Doch weist nicht zuletzt auch der Artikel aus dem Jahre 1955 von Duncan A. HOLADAY und Mariagnes VEROSKY über die „Analyse des Anteiles von Anästhetika in respiratorischen Gasen aus menschlichem Blut“ darauf hin, dass theoretische Fragestellungen der Forschung und praktische Anwendung von zur Heilung von Menschen entwickelter Substanzen in einem Problemfeld voller Unkalkulierbarkeiten zu stehen scheinen.

Fussnoten:

1.: Die Abkürzung „T4“ leitet sich ab von der Adresse der Zentrale des für Patiententötungen
(Euthanasiemaßnahmen) zuständigen Verwaltungsamtes in der Berliner „Tiergartenstraße 4“.

2.: Grafeneck/Württemberg, Brandenburg a.d. Havel, Bernburg a.d. Saale, Hadamar bei Limburg,
Hartheim bei Linz, Sonnenstein bei Pirna.